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Neue Perspektive auf den Gaza-Krieg

„Schwerter zu Pflugscharen“. An diese alte biblische Metapher musste ich denken, als ich dieses Wochenende unverhofft ein Imagevideo unseres Gemeindehauses mit einer militärischen Aufklärungsdrohne drehen durfte. Die Technik stammt von der IDF, der israelischen Armee. Hunderte dieser kleinen Drohnen sind aktuell im Gazastreifen im Einsatz, viele davon geliefert von einem kleinen Startup, das ein 26jähriger Israeli gegründet hat. Er war vor 8 Jahren als Austauschschüler des Karl-von-Frisch-Gymnasiums bei uns.  Nach dem 7. Oktober war er 6 Wochen als Soldat im Einsatz, inzwischen ist er wieder Zivilist. Doch die Themen des Krieges prägen seinen Alltag. Mittels Spezialrucksäcken, Materialwesten mit Ersatzakkus, robust verpacktem Joystick und vor allem einer digitalen Brille lassen sich die Drohnen auch im Kampfeinsatz verwenden.
„They safed many lifes“, erzählt mir der 26jährige Guy, der nördlich von Stuttgart sein Produkt einem Drohnen-Experten der Elite-Polizei GSG 9 vorstellte und den Deutschlandbesuch zum Anlass nahm, wieder mal seine „deutsche Familie“ in Gomaringen zu besuchen.

Begleitet wurde Guy durch seinen Freund und Kollegen Regev. Er ist Profi für Trainingsprogramme der Drohnen-Piloten, die im Gefecht vor allem Ruhe bewahren müssen, um die wendigen Flugkörper passgenau zu steuern. Über das Kamerabild konnten im Häuserkampf schon viele Sprengfallen und auch versteckte Hamas-Terroristen entdeckt werden.
Regev ist wie Guy ein IDF-Reservist. Er gehört zu einer Einheit, die für die Zerstörung der Hamas-Tunnel verantwortlich ist: „Wir wissen inzwischen sehr viel über diese unterirdische Stadt. Doch es ist ein Dilemma: wir können die Tunnel nicht sprengen, ohne dabei die darüberstehenden Häuser zu gefährden – zumal die meisten dieser Gebäude immer noch bewohnt sind. Oder es handelt sich um eine Infrastruktur, die geschützt werden muss, wie zB. Krankenhäuser oder Moscheen. Auch das Fluten der Tunnel mit Meerwasser haben wir erfolgreich erprobt. Aber es führt zu ähnlich schweren Schäden an den Gebäudefundamenten. Doch wir führen einen Krieg gegen die Hamas, nicht gegen die Menschen von Gaza!“.

Das Gespräch wird plötzlich sehr dicht. Guy erzählt: „Es ist manchmal zum Verzweifeln. Unser Auftrag heißt: schießt nie auf Zivilisten! Doch wie lässt sich das unterscheiden, wenn die Terroristen normale Gewänder und Flipflops tragen – und damit alle Regeln eines normalen Kriegs durchbrechen? Waffen können leicht am Körper versteckt werden.“ Und Regev ergänzt: „Wie denkst denn du darüber: ist es okay, im Häuserkampf auf jemanden zu schießen, weil er oder sie eine Waffe trägt? Oder muss man jeweils warten, bis die Zielperson ihre Waffe aktiv einsetzt? Über solche Fragen lässt sich stundenlang diskutieren – im Gefecht braucht es oft ganz schnelle Entscheidungen.“

Dazu Guy: „In jedem Fall müssen unsere Soldaten sehr vorsichtig sein. Um keine Unschuldigen zu treffen und um sich selbst zu schützen, aber auch um der israelischen Geiseln willen, die immer noch auf ihre Befreiung warten“.

Guy hat auf seinem Handy einen telegram-Kanal der Hamas abonniert. Dort sind nach wie vor zahlreiche Videos mit bestialischen Details des Überfalls vom 7. Oktober dokumentiert. Als er sie mir zeigen will, lehne ich es ab. Das wird mir zu viel.
Stattdessen höre ich genau hin, was er erzählt: „Vor dem Krieg dachte ich, die Hamas sei eine Terrororganisation, die einen Großteil der eigenen Bevölkerung in eine Art Geiselhaft nimmt und sie als menschliche Schutzschilde missbraucht. Inzwischen sehe ich es anders: Das Erschreckendste der letzten Monate war für mich die Beobachtung, wie breit der Rückhalt der Palästinenser ist. So viele stellen sich sogar freiwillig vor die Kämpfer, um sie vor unserem Zugriff zu schützen. Schließlich sind das ihre Söhne oder Brüder! Und sie sind stolz auf deren Terror gegen Israel! Deutlich mehr als die Hälfte der Gazabevölkerung unterstützt die Hamas“. Und dann greift er doch nochmals zum Handy: „Schau dir die jubelnden Massen an. Und achte auf die Anzahl der Likes, die mit den Gewaltvideos verbunden sind“.

Wie geht es nun weiter in Gaza? „Aktuell versuchen wir, die Zivilisten aus dem Süden des Gazastreifens zurück in den Norden zu bringen, damit wir auch im Süden agieren können. Leider lässt sich kaum verhindern, dass dabei auch viele der Hamas-Terroristen in den Norden zurückkehren. Selbst in den Rotkreuz-Fahrzeugen, die diesen Transport begleiten, finden wir versteckte Waffen“, erzählt Guy aus seinen fast täglichen Telefonaten mit befreundeten IDF-Soldaten. „Israel will nach dem Krieg den Sicherheitsstreifen zu den Kibbuzim verbreitern und im Gazastreifen eine Straße von West nach Osten einrichten, die militärisch gesichert wird und der IDF im Konfliktfall einen schnellen Zugang ermöglicht. Außerdem hoffen wir auf eine Übernahme der Gaza-Verwaltung durch die Fatah, die Autonomie-Behörde der Westbank“.

Ob das gelingt? Niemand weiß es. Wir sollten beten für einen baldigen Frieden!
Das Video des Gemeindehaus-Drohnenflugs findet man übrigens hier.