Worte, die beim Thema Nahost besser ungesagt bleiben – ein kleines ABC
Inspiriert durch einen Artikel des deutsch-amerikanischen Journalisten Hannes Stein, den er schon im Oktober 2023 veröffentlicht hat
Alttestamentarisch
Heißt eigentlich alttestamentlich – und ja, das ist mehr als eine Pingeligkeit. Alttestamentlich ist neutral. Aber alttestamentarisch? Das klingt nach finster, gnadenlos und blutrünstig. Und das hat eine antisemitische Geschichte. Als ob das „Auge um Auge, Zahn um Zahn“-Prinzip nicht längst ein Fortschritt gegenüber Blutrache war! Als ob es nicht um Schadensbegrenzung ging – und eben nicht um Rache. Also: lieber gleich das richtige Wort nehmen – und unnötige Schieflagen vermeiden.
Apartheid
Ist Israel ein Apartheidstaat? Wenn überhaupt, dann ein ziemlich ungewöhnlicher: Arabische Israelis haben volle Bürgerrechte, sitzen im Parlament, dienen sogar in der Armee. Ja, Diskriminierung gibt’s – keine Frage. Und die Lage der Palästinenser im Westjordanland ist schwierig. Aber wer Israel mit Südafrika vergleicht, erzählt Unsinn oder hat ein politisches Ziel: das Ende Israels. Gerade nach dem Massaker der Hamas im Oktober 2023 – als über tausend Menschen an einem Tag ermordet wurden – sollte man sich mit solchen Begriffen besser zurückhalten.
Aushungern
Ja, die Menschen in Gaza leiden. Es fehlt praktisch an allem. Nur, Israel musste jahrelang mit ansehen, wie die Hamas einen Großteil der UN-Hilfslieferung gekapert hat: sie haben die Lebensmittel und anderen Waren übernommen, zu großen Teilen selbst behalten und den Rest an die eigene Bevölkerung verkauft, um damit neue Waffen und Tunnel herstellen zu können.
Israel sucht nun einen Weg, der Hamas die Geldzufuhr abzuschnüren. Das gelingt gerade ganz gut, indem der Iran geschwächt wird (Haupt-Financier!). Doch es finden sich nicht genügend kooperative Einheimische, die die Lebensmittel-Verteilung koordinieren. Denn das kann sie das Leben kosten – durch direkt Erschießung von Seiten der Hamas oder auch später, wenn sie als „Kollaborateure“ hingerichtet werden. Ein echtes Dilemma: wer findet eine gute Lösung, wie die Zivilbevölkerung versorgt werden kann, ohne dabei das Leben israelischer Soldaten oder hilfsbereiter Araber zu gefährden??
Besatzung und Befreiung
Ja, das Westjordanland ist besetzt. Und es ist völlig okay, das kritisch zu sehen. Aber wenn Hamas und Co. von „Besatzung“ reden, meinen sie was ganz anderes: Sie halten ganz Israel – auch Tel Aviv und Westjerusalem – für „besetzt“. Für sie endet die „Besatzung“ erst, wenn Israel verschwunden ist. Und der Gaza-Streifen? Der ist seit 2005 nicht mehr besetzt. Israel kontrolliert die Grenzen – ja. Und mittlerweile auch das Kriegsgebiet, aber nur übergangsweise. Aber die Besatzung ist vorbei. Also: genau hinhören, wer von Besatzung spricht – und was damit gemeint ist.
Auch der Begriff „Befreiung“ ist fragwürdig: „Free Palestine!“ ist normalerweise ein Aufruf, ganz Israel zu überrennen und die Juden ins Meer zu werfen („From the river to the sea“, also vom Jordan bis zum Mittelmeer – das ist der Masterplan viele Palästinenser). Ja, viele Palästinenser erleben es als Unfreiheit, wenn sie nicht freizügig über die Grenzen nach Israel reisen können. Man sollte allerdings daran erinnern, weshalb es diese Grenz-Befestigungen gibt: anders als die einstige DDR-Mauer wollen sie nicht ein Volk einsperren, sondern sie dienen dem Schutz Israels vor Angriffen. Sobald die Araber die Waffen niederlegen (einschließlich der Sprengstoffgürtel und der Steinschleudern), werden die Grenzen geöffnet – auch im Interesse Israels! Doch zuvor müssen wohl die den Frieden und Ausgleich suchenden Araber vom Terrorregime der Hamas befreit werden.
Geisel-Austausch
Unfassbar, was man in manchen Zeitungen alles lesen kann! Israel hat aus seinen Gefängnissen Gewalttäter laufen lassen, um Gewalt-Opfer zu retten!
Das sollte auf keinen Fall mit einem Kriegsgefangenenaustausch verglichen werden, wie er in anderen Kriegen üblich ist.
Genozid
Ja, der Begriff ist angemessen: die Hamas möchte das jüdische Volk vernichten! Das Massaker im Oktober 23 ist eine Umsetzung der Hamas-Charta (Zitat aus Artikel 7: Die Stunde wird kommen, da die Muslime gegen die Juden solange kämpfen und sie töten, bis sich die Juden hinter Steinen und Bäumen verstecken. Doch die Bäume und Steine werden sprechen: „Oh Muslim, oh Diener Allahs, hier ist ein Jude, der sich hinter mir versteckt. Komm und töte ihn!“). Aber was für ein zynischer Unsinn, wenn der Verteidigungs-Angriff Israels gegen die Hamas nun als „Genozid“ bezeichnet wird! Wollte Israel das palästinensische Volk töten, dann würde es nur Bomben auf den überfüllten Strand von Gaza-City werfen.
Israel-Kritik
Ein paar Beispiele, die sofort einleuchten:
– eine unsensible und zum Teil auch unrechtmäßige Siedlungspolitik
– das oft unnötig harsche Grenz-Regime (leider auch in ruhigeren Zeiten!)
– militärische Fehlschläge, die auch die Zivilbevölkerung treffen (die Frage der Verhältnismäßigkeit ist hochkomplex: je präziser man vorgehen möchte, desto höher wird das Risiko für die eigenen Soldaten)
– organisatorische Missstände bei der Lebensmittelversorgung
– zu wenig Eindämmung von rechtsradikalen Minderheiten (die sogar in der Regierung vertreten sind!)
– Korruption und Machtmissbrauch bei Spitzenpolitikern
Doch diese Kritik sollte fair und verhältnismäßig bleiben! Sonst überschreitet die Kritik die Grenze zum Antisemitismus. Dafür gibt es die drei D-Kriterien:
– Doppelstandard:von Israel mehr erwarten als von anderen Regierungen
– Dämonisierung: Israel als „teuflische Macht“ und „Grundübel“, oft verbunden mit Verschwörungserzählungen oder einer Täter-Opfer-Umkehr
– Delegitimierung: wenn Israel als Staat in Frage gestellt wird (sprechen wir auch von „Deutschland-Kritik?“)
Kolonialismus
Israel ein Kolonialprojekt? Das klingt in bestimmten Kreisen modern, ist aber historisch schief. Kolonialmächte haben Völker unterworfen, Ressourcen ausgebeutet, Menschen versklavt – und hatten ein Mutterland im Rücken. Und die Juden? Welche Bodenschätze gab es in Palästina? Und wohin hätten sie denn zurückkehren sollen? Nach Polen – nach der Shoah? Nach Bagdad, wo sie 1948 vertrieben wurden? Oder nach Äthiopien, wo sie als Zauberer und Hexen verfolgt wurden? Für viele war Israel der einzige Zufluchtsort. Das mit Kolonialismus gleichzusetzen, ist einfach falsch.
Kriegsverbrechen
Wenn israelische Soldaten bewusst Zivilisten töten – dann ist das ein Verbrechen. Punkt. Und genau das verbietet auch die hebräische Bibel: Lo tirzach – Du sollst nicht morden. Aber: Opfer unter Zivilisten bedeuten nicht automatisch, dass ein Kriegsverbrechen vorliegt. Krieg ist schrecklich. Menschen sterben. Auch unschuldige. Und ja, das ist tragisch. Aber was zählt, ist die Absicht. Israel warnt vorher – mit Flugblättern, Anrufen, sogar mit sogenannten „Dachklopfern“ (Granaten ohne Sprengstoff). Die Hamas dagegen verschleppt Zivilisten als Geiseln, versteckt Waffen in Wohnhäusern, nutzt Menschen als Schutzschilde, kämpft ohne Uniform. Und das sind schwere Kriegsverbrechen!
Rache und Vergeltung
Das alte Vorurteil: Juden sinnen auf Rache. Ein antisemitisches Klischee, das schon im 19. Jahrhundert durch die völkische Propaganda geisterte. Wenn Israel heute militärisch gegen die Hamas vorgeht, ist das keine „Rache“ – es ist Selbstverteidigung. Seit fast 20 Jahren wird Israel aus dem Gazastreifen mit Raketen beschossen. Und: Kein Staat würde nach einem Massaker tatenlos zusehen. Auch die Bundeswehr nicht.
Siedlungen
Das Thema ist echt heikel – aber man muss genauer hinschauen. Es gibt zum einen die größeren Wohngebiete rund um Jerusalem, die zwar jenseits der grünen Linie liegen, aber eigentlich eher wie Wohnblock-Vororte funktionieren. Da geht’s weniger um politische Expansion, sondern einfach darum, dass der Wohnraum knapp ist – für Juden und Araber. So ähnlich passiert das auch in anderen Ländern, zum Beispiel in der Türkei.
Ganz anders sieht’s aber mit den kleinen, oft provokativen Siedlungen mitten im Westjordanland aus. Die werden von teils radikalen, meist amerikanischstämmigen Nationalreligiösen gegründet, die von einem Groß-Israel träumen. Und ja, das ist ein echtes Problem – auch weil die israelische Regierung da viel zu oft wegsieht!
Dennoch, was viele nicht wissen: Wenn man dort ein Haus kauft, steht im Kaufvertrag ausdrücklich drin, dass das nicht offiziell israelisches Staatsgebiet ist – und man das Eigentum eventuell wieder abgeben muss. Also alles gar nicht so schwarz-weiß, wie es oft dargestellt wird.
Spirale der Gewalt
Eines der nervigsten Schlagworte überhaupt. Klingt, als würden sich zwei gleich starke Gegner einfach nicht beruhigen können. Aber das stimmt nicht. Die Hamas will Israel auslöschen – komplett. Israel will nicht die Palästinenser vernichten. Wenn es das wollte, hätte es längst die Mittel dazu. Gedankenexperiment: Was wäre, wenn die Hamas eine Nacht lang über Israels Waffen verfügen würde? Am nächsten Morgen gäbe es Israel nicht mehr.
Verhältnismäßigkeit
Wird oft falsch verstanden. Es geht nicht darum, dass am Ende auf beiden Seiten gleich viele Tote stehen. Das wäre zynisch. Sondern: Wenn ein Angriff militärisch wichtig genug ist, darf man unter bestimmten Bedingungen auch in Kauf nehmen, dass Zivilisten gefährdet sind. Beispiel: Wenn eine Panzerfabrik neben einem Wohnhaus steht, darf man sie bombardieren – wenn es militärisch wirklich notwendig ist und man versucht, Zivilisten zu schützen.
Zionismus
Zionismus ist die Nationalbewegung des jüdischen Volkes – nicht besser und nicht schlechter als andere. Griechen, Deutsche, Kurden, Palästinenser – alle haben ihre Nationalbewegung. Auch innerhalb des Zionismus gab es viele Strömungen: sozialistisch, religiös, liberal, säkular. Wer heute sagt: „Ich bin Antizionist“, sollte erklären, warum ausgerechnet diese Bewegung so furchtbar sein soll. Und warum nicht auch andere Nationalbewegungen. Oder warum Thessaloniki nicht an die Türkei zurückgehen soll, obwohl diese Stadt fast 500 Jahre lang türkisch war und dort früher mehr Juden als Griechen lebten.
Zwei-Staaten-Lösung
Kann man das automatisch als „Lösung“ bezeichnen?
Klar, den jetzigen Zustand ganz sicher auch nicht! Eine Dauerbesatzung des Westjordanlands oder ein israelisches Militärregime in Gaza – das kann auf Dauer nicht gut gehen!
Aber auch ein palästinensischer Staat ist nicht automatisch die Antwort, solange er nicht stabil und friedlich koexistieren kann. Entscheidend ist: Beide Seiten brauchen Strukturen, die das Überleben des jeweils anderen nicht infrage stellen. Israel hat in der Vergangenheit mehrfach angeboten, Gebiete wie das Westjordanland an Jordanien oder Gaza an Ägypten abzugeben – in der Hoffnung, dass sich stabile Nachbarn entwickeln.
Ergänzende, persönliche Anmerkung:
Wie geht’s weiter mit Gaza?
Ja, es gibt in der israelischen Gesellschaft mittlerweile eine (leider wachsende! Zahl von Menschen, die am liebsten den Gazastreifen komplett räumen würden und sich kaum noch darum scheren, was aus der dortigen Bevölkerung wird. Das sind Israelis, die vollkommen verbittert sind – und bis zu einem gewissen Maß kann man das sogar verstehen. Wenn man sich klarmacht, dass sie nun schon seit etwa 20 Jahren fast wöchtentlich mit Raketen beschossen werden, dann lässt sich ihre Resignation zumindest nachvollziehen.
Aber die Zukunft des Gazastreifens hängt sicher nicht nur an der Haltung Israels, sondern vor allem auch an der Haltung der Palästinenser selbst. Wenn weiterhin das höchste identitätsstiftende Ziel der Bevölkerung die Vernichtung Israels ist, dann kann Gaza niemals aufblühen. Es braucht unbedingt einen Umsturz – nicht nur politisch, sondern auch in den Köpfen.
Und es ist extrem unwahrscheinlich, dass die Hamas als Organisation zur Besinnung kommt. Insofern stimmt der Satz: Gaza hat nur eine Zukunft ohne die Hamas.
Gleichzeitig steckt Israel in einem unlösbaren Dilemma. Denn militärisch wird man die Hamas nicht vollständig besiegen können. Am Ende wird es immer noch eine beträchtliche Zahl an Radikalen geben, die – sobald sich Israel aus dem Gazastreifen zurückzieht – den Kampf als ihren Sieg feiern und genau dort weitermachen, wo sie aufgehört haben. Ergänzt wird das wahrscheinlich durch einen vorauszusehenden Massenmord an sogenannten Kollaborateuren, also Menschen, die in der aktuellen Zeit nicht ausreichend die Hamas unterstützt haben und mehr oder weniger offen auf der Seite Israels standen.
Aber zugleich gilt auch das Prinzip: Je mehr Licht – im Sinne von Perspektive, Infrastruktur, Lebensqualität – nach Gaza kommt, desto eher kann sich eine neue, friedlichere Ordnung bilden!
Die Masse der Bevölkerung ist leicht zu beeinflussen – und sie schart sich leider oft um die, die ihr am meisten emotionale Zugehörigkeit bieten, nicht unbedingt um die Vernünftigsten.
Die wenigsten sind in ihrem Denken so weit, einzusehen, dass Israel nicht gekommen ist, um ihnen möglichst viel Schaden zuzufügen. Nochmal: Es handelt sich hier um einen Verteidigungsangriff, der sich nicht gegen die Zivilbevölkerung, sondern gezielt gegen die Hamas richtet! Aber je länger der Krieg dauert, desto brutaler wird er – und desto schwerer wird es, danach wieder zueinanderzufinden.
Das eigentlich Traurige: Es gibt im Moment keine echte Lösung. Weder ein Rückzug noch das Weiterkämpfen schaffen eine sichere Zukunft. Und viele in der israelischen Gesellschaft reagieren mittlerweile darauf. Wie gesagt: Die einen radikalisieren sich, die anderen sofern sie es können) verlassen das Land. Beides stimmt mich sehr traurig.
Wir sollten beten für Israel. Und auch für die palästinensische Zivilbevölkerung!
Peter Rostan
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