„Jeden Tag warte ich.
Kein Mensch schreibt mir.
Alle haben mich abgeschrieben.
Für die Welt draußen bin ich tot.
Meine Zelle ist mein Grab.“
Mit diesen zutiefst hoffnungslosen Sätzen aus einem Brief eines Gefangenen leitete Gefängnispfarrer Thomas Wagner jüngst beim Männerabend seinen Bericht über „kirchliche Arbeit in der Welt des Strafvollzugs“ ein. Es wurde ein eindringlicher Abend voller tief unter die Haut gehender Worte, Bilder, Erlebnisse im „Knast“ in Rottenburg.
„Schön dass Sie Freigang erhalten haben um zu uns zu kommen“, so hatte Uli Motzer den freundlichen Mann mit seinem ansteckenden Lachen herzlich nach der Sommerpause begrüsst.
„Meine Aufgabe ist es seit 17 Jahren seelsorgerische Gespräche mit Insassen und Personal zu führen“, so Wagner. Ein Gefängnis sei eine „totale Institution“ mit eigenen Regeln, eigener Sprache, mit einer offiziellen Welt und einer dunklen Welt. Schlüssel sind die Symbole für Macht, aber auch unter den Gefangenen gebe es eine oft von Brutalität und Unterdrückung geprägte Machtstruktur und Rangordnung. Dazu gehöre auch dass man immer was zum Tauschen haben sollte, einen „Koffer“ (ein Päckchen Tabak) und eine „Bombe“ (ein Glas mit löslichem Kaffee). Alle, so der wackere Mann, hätten etwas ausgefressen, hätten Schuld auf sich geladen, oft nach vielen „Verwarnungen“, viel Geduld des Staates und der Gesellschaft und ihrer Angehörigen und Familien.
Immer noch produziere diese ganz andere Welt bei ihm Anspannung, seine Überlebenstaktik sei der Dank für die kleinen Wunder und sein unbeirrbarer Glaube, ohne den er verloren wäre, so Wagner sehr bestimmt. Kriminalität spiele sich vorwiegend im Alter von 19 bis 30 ab und sei zu 95 Prozent „männlich, so erfuhren wir. Insbesondere die Gespräche mit Sexualstraftätern, die ihr verhängnisvolles Unwesen zum Teil bis über das achtzigste Lebensalter hinaus trieben seien „schwierigst“ und zehrten an seiner Seele. Sein wichtigstes Pfund bei seiner Arbeit sei seine absolute Verschwiegenheitspflicht, sie ermögliche ihm den Kontakt zur „dunklen Welt“ im Knast. Er stehe für Drogensubstitution und dafür ein, dass auch ein Mörder seine Chance bekomme. Passiert sei ihm in all den vielen Jahren noch nie etwas, den „Himmelskomiker“ wie Geistliche im „Knast“ geheissen werden, lasse man unversehrt.
Viele seiner umfassenden Ausführungen mündeten in interessierte Sofort-Fragen aus den Reihen der knapp 60 Anwesenden. Sie wurden spontan beantwortet, immer wieder mit viel Humor.
Lang anhaltender, ergriffener Beifall beendete einen unvergesslichen Abend. Gerd Kürner und Sohn Simon hatten ihr Keyboard und ihr Schlagzeug mitgebracht und begeisterten mit einem Swing, einem Foxtrott und einem Quickstep, betitelt Sing Sing Sing, benannt nach dem berüchtigten Gefängnis „Sing Sing“. Das virtuose Schlagzeugsolo von Simon brachte tosenden Aplaus.
Jürgen Hirning